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Wenn das Stillen zum Dilemma wird. Eine Tagung zu Problemen bei HIV-positiver Mutterschaft
Revue de presse

Wenn das Stillen zum Dilemma wird. Eine Tagung zu Problemen bei HIV-positiver Mutterschaft

Neue Züricher Zeitung, 27. April 2007 - Wenn sich ein Kind im Mutterleib, unter der Geburt oder beim Stillen mit dem Aids-Erreger ansteckt, dann ist das eine Tragödie. Dies umso mehr, als es heute Möglichkeiten gibt, die Übertragung des HI-Virus von der infizierten Frau auf ihr Kind zu verhindern, jedenfalls in reichen Ländern wie der Schweiz. Doch die meisten Frauen haben dieses Glück nicht, wie an einer von der Schweizerischen Fachplattform für HIV/Aids und internationale Zusammenarbeit (aidsfocus.ch) organisierten Tagung mit dem mehrdeutigen Titel «Positive Mutterschaft» zu erfahren war. Diese Frauen leben in Weltgegenden, wo die Gesundheitsversorgung derart dürftig ist, dass die Mutter-Kind-Übertragung von HIV und das Sterben von Kindern zum traurigen Alltag gehören.

Vorsorge in der Schwangerschaft

Die WHO schätzt, dass allein 2005 über eine halbe Million Kinder über diesen vertikalen Übertragungsweg mit HIV angesteckt wurden; 90 Prozent der Infektionen fanden im südlichen Afrika statt. Zum Vergleich: In der Schweiz ist seit 2004 ein einziges infiziertes Kind zur Welt gekommen. Es ist bekannt, dass ohne spezielle Vorkehrungen und medikamentöse Abschirmung während der Schwangerschaft und unter der Geburt mit einer Übertragungsrate von 15 bis 30 Prozent zu rechnen ist. Beim Stillen dürften sich weitere 5 bis 20 Prozent der Kinder mit dem Virus anstecken. In der Schweiz werden HIV-positive Frauen bereits früh in der Schwangerschaft mit einer antiretroviralen Kombinationstherapie behandelt - mit dem Ziel, dass bei der Geburt keine HI-Viren mehr im Blut nachweisbar sind. Gelingt dies, kann die Frau auf Wunsch normal gebären. Andernfalls wird dringend zu einem geplanten Kaiserschnitt vor Einsetzen der Wehen geraten. In den meisten Drittweltländern ist dies nicht durchführbar, wie Claudia Kessler Bodiang vom Schweizerischen Tropeninstitut an der Tagung in Bern erklärte. Aber auch bei der medikamentösen Abschirmung müssten oft Abstriche gemacht werden, sagte Marleen Dermaut, die als Hebamme bei Médecins sans Frontières im Norden Moçambiques arbeitet.

Dermauts Schilderungen machten auch deutlich, dass solche Programme nicht nur medizinisch ausgerichtet sein dürfen, sondern stets auch die sozialen und kulturellen Gegebenheiten der Bevölkerung mit einbeziehen müssen. In Moçambique erlebe man oft, sagte Dermaut, dass Frauen nach Erhalt der HIV-Diagnose den Kontakt zum Programm abbrechen. Viele hätten Angst vor Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung. Dass diese Angst in Afrika virulent ist, das zeigen auch die Erkenntnisse der Sozialanthropologin Saskia Walentowitz. In einer Studie hat sie herausgefunden, dass die meisten HIV-infizierten schwangeren Frauen um die Gefahr der Virusübertragung beim Stillen wissen. Trotzdem entscheiden sich viele dafür, auch wenn sie gratis Milchprodukte erhalten. Viele hätten Angst, sagte Walentowitz, dass Familienangehörige und Nachbarn lästige Fragen stellen und die oft auch vor dem Partner verheimlichte HIV-Diagnose erfahren könnten.

Allerdings gibt es derzeit auch viel Unsicherheit, was den Stellenwert des Stillens bei HIV-infizierten Frauen anbelangt. Dazu trägt auch die WHO bei, die mit immer neuen Empfehlungen sowohl Gesundheitsbehörden wie auch Bevölkerung überfordert. So wurde die frühere und in reichen Ländern immer noch gültige Empfehlung, wann immer möglich auf das Stillen zu verzichten, Schritt für Schritt ins Gegenteil gekehrt.

Ausschliessliches Stillen

Heute wird denn in Drittweltländern das ausschliessliche Stillen während sechs Monaten propagiert, wobei das Wort «ausschliesslich» wörtlich zu nehmen ist. Denn jüngste Studien haben ergeben, dass das Risiko einer HIV-Übertragung über die Muttermilch ansteigt, wenn dem Baby zusätzliche Nahrung gegeben wird. Zudem weiss man seit längerem, dass in armen Ländern die Kinder von stillenden Frauen zwar häufiger mit HIV angesteckt werden, aber dennoch seltener sterben. Das hat damit zu tun, dass gestillte Kinder gegenüber verschiedenen Infektionskrankheiten besser geschützt sind. Dennoch dürfte es vielen HIV-positiven Frauen schwerfallen, ihr Kind zu stillen. Wie die Tagung in Bern gezeigt hat, braucht es noch gewaltige Anstrengungen, um die von den Vereinten Nationen 2001 gesteckten Ziele zu erreichen. Eines sieht vor, bis 2010 für 80 Prozent der schwangeren Frauen den Zugang zu Programmen zur Verhinderung der vertikalen HIV-Übertragung zu ermöglichen. In Afrika haben dies derzeit 9 Prozent. (27. April 2007, Neue Zürcher Zeitung)

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