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Aargauer Zeitung: Aids wird zu einer weiblichen Epidemie
Revue de presse

Aargauer Zeitung: Aids wird zu einer weiblichen Epidemie

Aargauer Zeitung, 8. März 2006 - In Afrika leben immer mehr Frauen mit HIV/Aids als Männer. Das hat Konsequenzen auf Gesellschaft, Ernährungssicherheit und auch Ökonomie mehrerer Länder.

Die HIV/Aids-Epidemie trifft weltweit immer mehr Frauen, besonders jedoch in Afrika südlich der Sahara. Hier sind sechs von zehn HIV-Infizierten weiblich, bei Jungen zwischen 15 und 24 Jahren sind es sogar mehr als drei Viertel aller HIV-Positiven. Nach Angaben von Unaids und der Weltgesundheitsorganisation WHO ist das Risiko einer HIV-Ansteckung bei einer jungen Frau dreimal höher als bei einem Mann. Auch bei verheirateten Frauen nimmt die HIV-Ansteckung stetig zu, bei Frauen über 25 bereits 43 Prozent.

Ansteckung in Ehe Heirat und Treue zu ihrem Ehemann sind als Schutzmassnahme ungenügend: Untersuchungen in Simbabwe und Südafrika zeigten, dass 66 Prozent der Frauen einen einzigen Lebenspartner haben – und doch 40 Prozent von ihnen HIV-positiv sind. Eine Studie in Uganda machte deutliche Unterschiede bei Verheirateten aus: Während 45 Prozent der Männer mehrere sexuelle Beziehungen führten, waren es bei Frauen nur fünf Prozent. Unaids und WHO führen Gewalt gegen Frauen, erzwungenen Sex in Partnerschaften und Abhängigkeitsverhältnisse aus Armut als weitere Gründe an.

“Frauen haben kaum Verhandlungsmacht: Sie können den Gebrauch des Kondoms oft nicht durchsetzen, erst recht nicht beim Ehemann“, sagt Helena Zweifel, Koordinatorin von Aidsfocus Schweiz (aidsfocus.ch), einer Fachplattform von 30 Hilfswerken und NGOs, welche durch Erfahrungsaustausch und Zusammenarbeit wirksamer gegen die Ausbreitung der Pandemie HIV/Aids vorgehen wollen. Dass in Afrika immer mehr Frauen als Männer angesteckt werden, begründet Helena Zweifel mit den „ungleichen Geschlechterverhältnissen, die verbunden mit Armut dramatische Folgen haben“.

Dramatische Lücken: Dabei sind Frauen in Afrika für rund 70 Prozent der Haushalte verantwortlich. „Wenn immer mehr Mütter sterben, wachsen immer mehr Kinder ohne Begleitung auf. Das zieht noch mehr Armut nach sich“, umschreibt Zweifel die gesellschaftlichen Folgen. Da Frauen meist für die Pflege Kranker verantwortlich sind, in den Familien wie auch im öffentlichen Gesundheitswesen, hinterlässt ihr Fehlen auch hier dramatische Lücken.

Die Betreuung der Kranken kostet Zeit, welche die Frauen ansonsten bei Feldarbeit für den Lebensunterhalt ihrer Familien einsetzen. „Wenn die Produktivität sinkt, ist die Ernährungssicherheit der Familie gefährdet. Die ökonomische Entwicklung ganzer Regionen wird untergraben“, erklärt Zweifel. Dass Frauen im südlichen Afrika „aussterben“, befürchtet sie nicht – die Fachfrau setzt vielmehr darauf, dass die HIV-Ausbreitung durch gezielte Anstrengungen zugunsten von Frauen gebremst werden kann.

Frauen helfen Frauen: Trotz der Feminisierung von Aids in Afrika macht die Aidsexpertin Positives aus: In Uganda etwa haben Frauen Selbsthilfegruppen gebildet. „Es sind HIV-positive Mütter, die sich um die Zukunft ihrer Kinder Sorgen machen und ihnen minimale Sicherheiten bieten wollen“, berichtet Zweifel. Die Frauen unterstützen sich gegenseitig, betreuen Kinderhaushalte und helfen Nachbarinnen. Sie schreiben „Memory Books“ – Erinnerungsbücher, in denen sie den Kindern ein Vermächtnis mitgeben. Sie gelangen an die Öffentlichkeit und kämpfen gegen die Diskriminierung an. Ähnliche Organisationen haben sich auch in Kenia, Simbabwe und Südafrika gebildet.

“Wenn ich den Menschen sage, dass man mit Aids leben kann, so rappeln sie sich auf und schöpfen neue Kraft. Schliesslich haben wir eine Schule für Aids-Waisen auf die Beine gestellt“, berichtete die kenianische Aids-Aktivistin Patricia Achieng Sawo bei einem Besuch in der Schweiz. Früher habe sie Angst vor einem unwürdigen Tod gehabt, sie wollte nicht von der Gesellschaft ausgeschlossen sterben. „Heute habe ich keine Angst mehr: Ich weiss, dass viele Leute im Kampf gegen Aids engagiert sind.“ (Viera Malach, Aargauer Zeitung)