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Welt-Aids-Tag 2019: Ohne die Anerkennung der Menschenrechte werden wir Aids nicht beenden
Menschenrechte und Stigmatisierung

Welt-Aids-Tag 2019: Ohne die Anerkennung der Menschenrechte werden wir Aids nicht beenden

MMS/aidsfocus.ch - Warum haben wir auch im Jahr 2019 die HIV/Aids-Epidemie noch nicht im Griff? Ein entscheidender Aspekt ist die Missachtung der Menschenrechte wie sich dies weltweit beobachten lässt. Nach jahrzehntelanger Erfahrung in der HIV/Aids Arbeit wissen wir, dass die Menschenrechte nicht von der Pandemie zu trennen sind und dass sich ohne einen konsequenten menschenrechts- und genderbasierten Ansatz die HIV/Aids-Epidemie nicht wird beenden lassen. (Photo: DFID - UK Department for International Development/flickr, CC BY 2.0)

Unbestritten sind die Fortschritte der letzten Jahre: Die Todesfälle sind seid 2010 drastisch zurückgegangen und ca. 23 Millionen der geschätzten 37,9 Millionen Infizierten erhalten eine Behandlung. Wie der UNAIDS Bericht 2019 "Global AIDS update - Communities at the Centre" belegt, kannten 2018 vier von fünf HIV-Infizierten ihren Status.

Das sind alles grossartige Erfolge und gleichzeitig sind wir nicht "on track" (UNAIDS, 2014: Fast-Track - Ending the AIDS epidemic by 2030), um die Epidemie zu beenden. Das Gesicht der Epidemie hat sich verändert und es gibt eine Vielzahl Länder und Regionen, wo die Erfolge rückläufig sind und sich die vormals im Griff geglaubte Epidemie wieder ausbreitet. Vor allem unter ausgegrenzten und stigmatisierten Bevölkerungsgruppen, unter den Menschen, denen die Menschenrechte verweigert werden, dort wo Ungleichheit herrscht, manifestiert sich die Erkrankung.

Dazu zählen junge Frauen und Mädchen, vor allem in Afrika, die nicht in der Lage sind, ihre sexuellen und reproduktiven Rechte zu verhandeln, denen das Selbstbestimmungsrecht über ihre Körper von der Gesellschaft verweigert wird und denen zu oft sexuelle Gewalt widerfährt. Dazu gehören auch Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) und die aufgrund ihrer sexuellen Beziehungen diskriminiert und kriminalisiert werden. Ebenso zählen dazu Sexarbeiter*innen, Transgender oder Drogenkonsumierende, deren Rechte durch Gewalt und staatliche Repressionen allzu häufig verletzt werden.

 

19.6 million girls and women living with HIV @UNAIDS, 2019

 

Der Druck steigt

Alle 193 Länder der Vereinten Nationen haben sich 2016 verpflichtet, die Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 umzusetzen. Dazu gehört auch die Verpflichtung, die Aids-Epidemie als Bedrohung für die öffentliche Gesundheit zu beenden. Nur elf Jahre verbleiben, um dieses Ziel zu erreichen.

Noch knapper die Zeit, um das von UNAIDS gesetzte Etappenziel 90-90-90 zu erreichen. Und schon heute ist klar, wir werden daran scheitern. Nur wenige Länder werden bis 2020 erreicht haben, dass  90 Prozent aller HIV-Infizierten getestet sind, davon 90% eine antiretrovirale Therapie erhalten und dass bei davon 90 Prozent das Virus im Blut nicht mehr nachweisbar ist.

Der UNAIDS Bericht 2019 "Global AIDS update - Communities at the Centre" zeigt ein gemischtes Bild: Sehr erfolgreich im Kampf gegen die Epidemie sind vor allem die Länder im südlichen und östlichen Afrika, einige der wenigen Regionen, die die 90-90-90 Etappe erreichen, während andere Regionen wie z.B. Osteuropa und Asien mit bis zu 30% Neuinfektionen seit 2010 besorgniserregende Rückschritte verzeichnen.

 

Warum machen es einige Länder besser als andere?

Nach mehr als dreissig Jahren Erfahrung in der HIV/Aids Arbeit weiss man, dass Erfolge dann erzielt werden, wenn sich die Politiken und Programme auf die Menschen und nicht auf die Erkrankungen konzentrieren und wenn die Gemeinden von Beginn an voll und ganz daran beteiligt sind, Gesundheitsansätze zu gestalten und umzusetzen. Was immer getan wird, muss aus der Perspektive der betroffenen Menschen erfolgen, ihre Würde und Integrität schützen und Stigma und Diskriminierung entgegenwirken.

Nur so konnte es gelingen, dass ein HIV/Tuberkulose Projekt in Eshowe, Südafrika ( MSF, 2019: HIV project in South Africa reaches 90-90-90 target one year ahead of deadline) vor Ablauf der Frist im Jahr 2020 mit Ergebnissen von 90-94-95 aufwarten kann. In einer Region in der jeder vierte mit HIV lebt und wo kaum Zugang zu herkömmlichen Gesundheitsdiensten besteht, konnte durch konsequenten Einbezug der gesamten Community ein solches Ergebnis erzielt werden. Von Anfang an waren alle – von der lokalen Zivilgesellschaft und Patientengruppen, über das Gesundheitspersonal und traditionellen Gesundheitspraktikern bis hin zu den traditionellen Führern - intensiv an der Gestaltung und Unterstützung des Projekts beteiligt gewesen.

In den Schulen wurden umfangreiche Programme zur Gesundheitserziehung und Sexualaufklärung sowie zur Reduzierung von Stigma und Diskriminierung durchgeführt und einer Klinik speziell für Männer gelang es, diese besser mit HIV-Tests und Behandlungsangeboten als herkömmliche Gesundheitseinrichtungen zu erreichen.

Pflegefachkräfte und geschultes nicht-medizinisches Personal haben in den Dörfern die gesamte sog. Behandlungskaskade (häusliche HIV-Tests, kontrollierte Medikamenteneinnahme sowie die spätere Kontrolle der Virenkonzentration im Blut) durchgeführt.

 

Video MSF, Community Health Agents Programme - CHAPS

 

Wie entscheidend es ist, in die Dörfer zu gehen und die Communities direkt anzusprechen und einzubeziehen, zeigt auch das erfolgreiche Projekt der MMS Mitgliedorganisation SolidarMed in Lesotho.

SolidarMed 2018: Zu Hause statt im Spital. In Lesotho testet SolidarMed die HIV-Versorgung zu Hause.

Eine besondere Herausforderung ist das Erlangen der dritten 90 Prozent in der Behandlungskascade. Diese dritten 90 Prozent sind abhängig von der sog. Adherence, d.h. davon, dass an Aids Erkrankte ihre Medikamente lebenslänglich ohne Unterbrechung oder Abbruch einnehmen, denn nur dann kann eine dauerhafte Unterdrückung der Virallast erzielt werden. Im oben angeführten Projekt von Médecins sans Frontières konnte das Ergebnis von 95 Prozent Viralsuppression nur durch ein sehr differenziertes Behandlungssystem mit vielen verschiedenen Angeboten erreicht werden, wie z.B. durch sog. "community pick up points" wo Patient*innen ihre Medikamente in einer Apotheke direkt abholen können, ohne stundelang in einer Warteschlange zu stehen. (UNAIDS, 2019, "Global AIDS update - Communities at the Centre", S. 17)

Ein ebenfalls erfolgreicher Ansatz ist der Service, der in der Tangerine Klinik in Thailand von Communities angeboten wird. Speziell geschultes medizinisches Fachpersonal erbringt gemeinsam mit Personen aus der Transgendergemeinschaft, die erforderlichen Dienstleistungen. (Spotlight, AIDS2018: Tangerine, a Thai transgender programme that works)


USAID Ethiopia flickr, CC BY 2.0

Wir wissen alles, um HIV/Aids zu beenden

Der Bericht "Global AIDS update - Communities at the Centre" enthält diese und weitere Beispiele, die zeigen, dass Programme von engagierten Communities durchgeführt, entscheidend sind, um die Epidemie bis 2030 zu beenden.

Die meisten Länder sind jedoch weit davon entfernt, dieses Engagement zu erreichen und dort wo Investitionen in die Communities am wenigsten vorhanden sind, werden die geringsten Fortschritte in der Bekämpfung der Epidemie erzielt.

Von der internationalen Gemeinschaft beschlossen, sollen bis 2030 mindestens 30% der HIV-Projekte gemeindebasiert durchgeführt werden, doch aufgrund der massiv zurückgehenden Finanzierung (ca. 1 Milliarde im Jahr 2018) in die HIV/Aids Bekämpfung, wird sich dies kaum realisieren lassen, warnt UNAIDS.

Der Bericht zeigt klar, dass wir alles haben, um die Epidemie zu beenden. Wir kennen die wissenschaftliche Beweislage und wir wissen was funktioniert. Erfolgreiche klassische Präventionsmassnahmen sind Kondome, aber wir haben darüber hinaus heute auch medizinische Optionen zur Verfügung, wie z.B. die männliche Beschneidung (voluntary medical male circumcision – VMMC) sowie die Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten. Menschen, die konsequent ihre Medikamente einnehmen, können das Virus nicht mehr weitertragen und durch die Einnahme von PrEP (Prä-Expositionsprophylaxe) kann für sog. Risikogruppen eine 100% Senkung der Gefahr einer Ansteckung erreicht werden. Wir wissen, dass eine umfangreiche Sexualaufklärung (MMS Bulletin 2019: Sexuelle Rechte: Jungen Menschen die Stimme geben), einschliesslich eines gender-transformativen Ansatzes, die Ausbreitung der Epidemie unter jungen Menschen entscheidend verringert. Wir wissen auch, dass alarmierende Zahl, wie z. B. dass 7 von 10 jungen Frauen in Afrika südlich der Sahara, kein umfassendes Wissen über HIV vorweisen können, auf kollektives Versagen von nationaler und internationalen Politik zurückzuführen ist.

Tragisch ist, dass viele Menschen, auch in Europa, nicht hinreichend über die Fortschritte in der Behandlung der HIV-Infektion informiert sind. Sie haben unnötige Berührungsängste, die die Betroffenen stigmatisiert und daran hindert, sich testen zu lassen und die notwendigen Schritte zu gehen.

Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt in der Antwort auf HIV/Aids. Wir können Aids nicht beenden, wenn wir die Kommunen nicht umfassender unterstützen.

Bezeichnenderweise war es von Anfang an nicht die Politik, die sich im Kampf gegen die Epidemie hervortat, sondern die betroffenen Communities selbst. Aktivisten und Aktivistinnen haben gegen Stigma und Ausgrenzung gekämpft, politische Entscheidungsträger zur Rechenschaft gezogen und so massgeblich dazu beigetragen, dass mehr Menschen in Therapie gelangten. (UNAIDS, 2015 Communities deliver)

Letztendlich ist und bleibt es eine Frage der Menschenrechte. Menschenrechte werden mit den Füssen getreten, wenn aufgrund von mangelndem politischen Willen den Betroffenen diejenigen Massnahmen und Ressourcen verweigert werden, von denen man weiss, dass sie erfolgreich vor HIV schützen.

Auch die Agenda 2030 und ihr Credo "Leave no one Behind" ist eine Agenda der Anerkennung und Umsetzung der Menschenrechte. Wenn wir das aus dem Blick verlieren und nicht darauf hinarbeiten, werden wir die gesteckten Ziele nicht erreichen.

 

World AIDS Day 2019: Message from UNAIDS Executive Director Winnie Byanyima

 

Autorin:
Martina Staenke, Medicus Mundi Schweiz. Email

 

Referenzen:

  • UNAIDS, 2019: Global AIDS update 2019 — Communities at the centre. Defending rights, breaking barriers, reaching people with HIV services. https://www.unaids.org/sites/default/files/media_asset/2019-global-AIDS-update_en.pd
  • UNAIDS, 2014: Fast-Track - Ending the AIDS epidemic by 2030. https://www.unaids.org/en/resources/campaigns/World-AIDS-Day-Report-2014
  • Médecins Sans Frontières (MSF), 2019: HIV project in South Africa reaches 90-90-90 target one year ahead of deadline: https://www.msf.org/hiv-project-south-africa-reaches-90-90-90-target-ahead-deadline
  • SolidarMed 2018: Zu Hause statt im Spital. In Lesotho testet SolidarMed die HIV-Versorgung zu Hause. https://www.solidarmed.ch/projekt/hivaids-eindaemmen
  • Spotlight, AIDS2018: Tangerine, a Thai transgender programme that works. https://www.spotlightnsp.co.za/2018/07/24/aids2018-tangerine-a-thai-transgender-programme-that-works/
  • MMS Bulletin 2019: Sexuelle Recht: Jungen Menschen die Stimme geben. https://www.medicusmundi.ch/de/bulletin/mms-bulletin/sexuelle-rechte-jungen-menschen-die-stimme-geben
  • UNAIDS 2015: Communities deliver: The Critical Role of Communities in Reaching the global Target to End the AIDS Epidemic. https://www.unaids.org/en/resources/documents/2015/JC2725_communities_deliver
  • UNAIDS, 2019: World AIDS Day 2019 — Communities make the difference. https://www.unaids.org/en/resources/documents/2019/world-aids-day-2019-communities-make-the-difference
  • UNAIDS, 2019: What is a community-led organization? https://www.unaids.org/en/resources/documents/2019/what-is-a-community-led-organization
  • UNAIDS 2019: Power to the people. https://www.unaids.org/en/resources/documents/2019/20191126_WAD2019_power_people
  • UNAIDS 2019: HIV Prevention 2020 Road Map. https://www.unaids.org/sites/default/files/media_asset/hiv-prevention-2020-road-map_en.pdf